Journalismus und Nationalsozialismus
Und?
Editorial
Von Horst Pöttker
Journalismus und Nationalsozialismus. Die Formulierung lässt manches offen. Sind Journalismus und Nationalsozialismus miteinander verbunden, haben sie sich zu einer Firma zusammengetan, J&N? Das wäre nicht völlig verkehrt, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Dass viele Journalisten sich dem NS-Regime aus Überzeugung oder aus Opportunismus angedient haben, lässt sich leider nicht bestreiten. So kritisch ist die Formulierung J&N aber gar nicht gemeint. Wir wollen damit nur anzeigen, dass in diesem Themenheft beide Perspektiven Platz haben. Wie der Journalismus vom Nationalsozialismus in Anspruch genommen wurde, aber auch, wie über den Nationalsozialismus vom Journalismus berichtet wird. Beiden Problemfeldern gewinnen die Autorinnen und Autoren dieser JoJo-Ausgabe unerwartete Aspekte ab.
Verdrängung, Öffnung, Instrumentalisierung
Was vom Umgang mit der NS-Vergangenheit über den Nachkriegsjournalismus zu lernen ist
Von Horst Pöttker
Keine andere Gesellschaft hatte einer so fürchterlichen eigenen Vergangenheit ins Auge zu blicken wie die deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn professioneller Journalismus die Selbstbeobachtung der Gesellschaft in Form von unabhängiger Fremdbeobachtung ist, wie Siegfried Weischenberg sagt, dann muss vom Umgang des deutschen Nachkriegsjournalismus mit der NS-Vergangenheit einiges zu lernen sein – sowohl über die Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft als auch über die Professionalität ihres Journalismus. Wie sind die Journalisten der Bundesrepublik mit dem NS-Regime und seinen monströsen Verbrechen umgegangen?
Zwischen den Weltkriegen
Zum Wandel des Pressejournalismus im Nationalsozialismus
Von Gabriele Toepser-Ziegert
Die Presselandschaft der Weimarer Republik war geprägt durch die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs. 1914 wurde auf Drängen der damaligen Obersten Heeresleitung (OHL) eine zentrale Pressekonferenz eingerichtet, die sicherstellte, dass die Pressevertreter einheitliche, also gleichlautende Informationen bekamen. In den Jahren zuvor hatte sich jeder Journalist seine Informationsquellen in den einzelnen staatlichen Stellen gesichert, die für ihn von Bedeutung waren. So konnten Unterschiede in der Informations- und Interessensituation der ministeriellen Öffentlichkeitsarbeiter ausgenutzt werden. Je nach politischer Ausrichtung konnten die Zeitungen ein deutlich geschärftes Profil für ihre Leserschaft entwickeln und somit den Wettbewerb verstärken.
Im Schatten von Joseph Goebbels
Otto Dietrich war einer der ranghöchsten Vertreter im Propagandaministerium
Von Stefan Krings
Otto Dietrich war „Reichspressechef der NSDAP“, SS-Obergruppenführer und als „Pressechef der Reichsregierung“ einer der ranghöchsten Vertreter des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Mehr als 13 Jahre gehörte er zum engsten Stab Adolf Hitlers. In der kommunikationshistorischen Forschung blieben seine Person und sein Status im NS-Machtapparat allerdings jahrzehntelang von der Überpräsenz des Propagandaministers Goebbels überschattet. Was steckte hinter Dietrichs Ämtern und seiner Nähe zum „Führer“? Wie groß war sein Einfluss tatsächlich?
Derricks Erfinder fesselte schon die Hitlerjugend
Die große Frage nach der Mitschuld am Hitler-Regime hat sich Herbert Reinecker nie stellen lassen
Von Christina Kiesewetter
Es wird Herbert Reineckers letzter Artikel als SS-Kriegsberichter sein. In seiner Autobiografie erinnert sich der Derrick-Autor 1990 an die Aufmachung „Völker, höret die Signale…!“ im SS-Blatt „Das Schwarze Korps“ vom 5. April 1945: „Ich weiß heute nicht mehr den genauen Wortlaut, aber es stand darin, daß der Krieg verloren sei (…) Goebbels reagierte mit äußerster Schärfe: Wer hat den Artikel geschrieben, der Verfasser muß zur Verantwortung gezogen werden.“ Es ist eine der seltenen Stellen, an denen Reinecker in seiner sehr vage gehaltenen Biografie auf Details seiner Karriere im Nationalsozialismus eingeht. Wohl deshalb, weil diese Anekdote ihn nicht als überzeugten Schreibtischtäter, sondern als distanzierten Journalisten erscheinen lässt.
Produkte der Krise
Warum die Auseinandersetzung mit der Publizistik des Exils höchst aktuell ist – eine Verteidigungsrede
Von Gaby Falböck
Die Exilforschung hat ihr konjunkturelles Hoch längst überschritten. Repliziert man heute auf die Frage nach den wissenschaftlichen Arbeitsgebieten mit dem Hinweis auf den Journalismus des Exils, erntet man entweder Desinteresse oder Unverständnis: Die Felder sind längst bestellt, die biografischen Studien und Monografien zu den prominenten Emigranten und deren Werk geschrieben, die Nachlässe scheinen gehoben, die Zahl der lebenden Zeitzeugen schwindet. Also: Cui bono Exilforschung?
Achtsamkeit – Grundzüge eines integralen Journalismus
Leitwerte zur Fortführung der Qualitätsdebatte auf der Ebene der Tiefenkultur
Von Claus Eurich
Über das Alltagsverständnis hinausgehend, haben Begriff und Bedeutung von „Achtsamkeit“ in den letzten Jahrzehnten eine steile Karriere erlebt. Die Verbreitung buddhistischer Philosophie/ Spiritualität im Westen hat daran einen entscheidenden Anteil, aber auch die Integration von Achtsamkeitskonzepten in Medizin, Psychotherapie, Pädagogik und Führungshandeln. Eine transdisziplinär verbindliche Definition von Achtsamkeit/Mindfullness gibt es zwar nicht, doch lassen sich einige zentrale Eckwerte markieren, die über Einzelsichtweisen hinausgehend allgemeine Akzeptanz finden.
Kooperation kann sich auszahlen
Auswirkungen des gemeinsamen Newsdesks auf Qualität und Vielfalt in der Mantelberichterstattung von WAZ, NRZ und WR
Von Lars Rinsdorf
Große Verlagsgruppen wie der Axel-Springer-Verlag oder die Mediengruppe DuMont Schauberg verzahnen in jüngster Zeit die bisher eigenständigen Redaktionen ihrer Zeitungstitel enger miteinander. Auch die WAZ-Gruppe hat 2009 für ihre Ruhrgebietstitel NRZ, WAZ und „Westfälische Rundschau“ (WR) einen gemeinsamen Newsdesk (Contentdesk) für die Mantelberichterstattung eingerichtet. Die Kooperation zwischen Redaktionen hat sich also längst zu einem Trend entwickelt. Damit gewinnt auch die Frage an Bedeutung, wie sich redaktionelle Kooperationen auf die Produktqualität der beteiligten Titel auswirken.